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Zum 20. Jubiläum ziehen Selig eine erste Zwischenbilanz: „Die Besten 1994 – 2014“ vereint die größten Songs der Hamburger Band in superben Neueinspielungen. Für Selig ist das Album zu gleichen Teilen Abschluss wie Neubeginn.

So wie ein gutes Buch, lässt sich auch die bisherige Geschichte der Hamburger Band Selig in Kapitel unterteilen. Nach der Sturm-und-Drang-Phase mit Durchbruch, Rockstarleben und ausverkauften Konzerten kam 1999 das Best-of-Album „Für immer und Selig“ – und damit das vorläufige Ende der Band. Die Musiker gingen für einige Jahre getrennte Wege. Es war einfach alles zu viel geworden, und nur wenige hätten damals damit gerechnet, dass überhaupt noch mal ein weiteres Kapitel kommt.
Das „Buch Selig“ war indes längst noch nicht zu Ende geschrieben: Als Jan Plewka, Christian Neander, Leo Schmidthals, Stephan „Stoppel“ Eggert und Malte Neumann 2009 mit „Und endlich unendlich“ zurückkehrten, präsentierten sie sich als musikalisch und persönlich gereifte Einheit. Das Comeback wurde von den Fans enthusiastisch aufgenommen, zum ersten Mal überhaupt wurde Selig eine goldene Schallplatte verliehen. Die folgenden Alben, „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (2010) und „Magma“ (2013), konsolidierten die überaus gelungene Rückkehr der Band.

Rückblickend wird man diese Alben irgendwann als eine Art Mittelteil in der Karriere von Selig bezeichnen. Die Übergangsphase von der ungestümen Rockband der frühen Jahre zu etwas Neuem, das noch nicht definiert ist. Und um diese Entwicklung zu symbolisieren, gibt es nun abermals eine Art Best-of. Das ist aber auch die einzige Parallele zu 1999: Selig haben aus früheren Fehlern gelernt, stehen näher beieinander denn je. Folglich hat sich die Band entschieden, nicht einfach eine weitere Hit-Sammlung auf den Markt zu werfen. Sondern es ging Selig um eine radikale Auseinandersetzung mit dem bisherigen Werk, eine liebevolle Umarmung – um es danach hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen zu können.

Folglich unterziehen Selig für „Die Besten 1994 – 2014“ ihre allerliebsten und besten Songs zum 20. Jubiläum auf das wesentliche fokussierten Neuinterpretationen. Ohne Berührungsängste wurden die bekannten Versionen entschlackt, ohne jedes Tabu neu bewertet – und schließlich mit überwiegend neuen Arrangements so aufgenommen, wie die Musiker sie heute fühlen. Um sich auf das gewagte Projekt vorzubereiten, nisteten sich Selig eine Woche lang in einer Wohnung im Hamburger Karolinenviertel ein. Dort lebten sie im Stile einer WG und trafen sich jeden Abend in der Küche, wo sie all ihre bisherigen Platten hörten und die alten Geschichten erzählten. Eine Vorgehensweise, die den Blick auf die eigene Vergangenheit schärfte: „Wir haben die Songs noch mal neu wertzuschätzen gelernt“, sagt Christian Neander.
Aus dieser Erkenntnis entstand eine totale Euphorie, fast eine Art von Ehrfurcht, jedenfalls das Gefühl: das sind schöne Lieder, gut, dass wir die so geschrieben haben. Und so führte das Projekt Selig-WG endgültig zu einer vielleicht banalen, aber sehr schönen Gewissheit, wie Jan Plewka sagt: »Wir haben so viel Intensives miteinander erlebt. Das ist mehr als Freundschaft, aber auch nicht wie Verwandtschaft, sondern ein einmaliges Mischmasch, das man eigentlich gar nicht beschreiben kann.“
Die Erinnerungen an den ursprünglichen Selig-Spirit waren lange vom Wahnsinn der zwischenzeitlichen Trennung überlagert worden, doch jetzt kamen die schönen Erlebnisse wieder hoch. „Plötzlich sind die ganzen Bilder wieder da“, sagt Neander. „Jan kommt vom Zivildienst zu mir, wir arbeiten drei Stunden lang ganz intensiv, gehen dann auf den Kiez was essen, er zwei Hamburger, ich drei Cheeseburger – und danach ab in die Kneipen.“

Das allererste Lied, das Christian Neander und Jan Plewka jemals zusammen geschrieben haben, war »Mädchen auf dem Dach«. Plewka suchte einen Gitarristen und war über einen gemeinsamen Freund auf Neander gestoßen. Einige Tage später stand der dann vor des Sängers Tür: Neander klingelt, Plewka linst durch den Türschlitz, was er sieht, gefällt ihm: „Lange Haare, sieht aus wie ein echter Gitarrist, könnte klappen.“ An jenem Tag gab Jan Plewka Neander sein privates Textbuch mit. Der Gitarrist solle sich einen Text aussuchen und Musik dazu schreiben – nur 24 Stunden später legte Christian „Mädchen auf dem Dach“ vor. „Eigentlich absurd“, erinnert sich Neander. „Ich meinte: ‚Alter, bist du sicher, dass du mir das geben willst? Das ist doch recht persönlich, wir haben uns ja gerade erst kennen gelernt.’“

Ja, Vertrauen spielte von Anfang an eine Rolle in dieser Band. Christian kannte Leo Schmidthals (Bass), Jan kannte Stoppel Eggert und Malte Neumann (Keyboard): „Stoppel war der beste Schlagzeuger bei uns in der Gegend und ich dachte, wenn ich mit so einem geilen Gitarristen spiele, brauchen wir auch den geilsten Schlagzeuger.“ Neumann seinerseits war damals noch in der Band von Philipp Boa, doch die anderen schafften es irgendwie, ihn da rauszueisen – die Geburt von Selig. Schon bei der ersten Probe war klar, dass alle zwar unterschiedliche Wurzeln hatten, aber das Gleiche wollten: „Eine Band gründen, durch die Wand gehen, reich und berühmt werden, die Welt verändern“, wie Plewka sagt.


Von nun an verbrachten die Fünf jede freie Minute miteinander, kauften Schlaghosen und wahnwitzige Klamotten in Amsterdam auf dem Flohmarkt, saugten sich an ihrem Sound fest, hörten die Black Crowes und frühe Lenny-Kravitz-Platten, durchstreiften die Bars auf dem Kiez. Plötzlich war da eine neue Gang in der Stadt, und das „hat die Welt natürlich gemerkt“, sagt Jan. Nur wenige Wochen später nahmen Selig bereits ihr erstes Demo mit dem Produzenten Franz Plasa auf. „Die ersten Leute, die uns überhaupt live gehört haben, waren Vertreter von Plattenfirmen“, so Plewka.

Es waren die Neunzigerjahre, die goldene Zeit der Musikindustrie. Ein A&R-Mann brachte gleich seinen Anwalt und einen Geldkoffer mit. Zudem hatte er ein blaues Auge von einer Schlägerei am Vortag. Direkt danach waren Selig mit Fitz Braun verabredet, der auch die Ärzte entdeckt hatte. Braun kam ein bisschen zu spät und trug eine Schlecker-Plastiktüte unterm Arm. Ohne einen Ton gehört zu haben, sagte er: „Jungs, wenn ich ohne eure Unterschrift zurück zur Sony komme, habe ich echt ein Problem.“ Selig spielten ihm ein paar Lieder vor, gingen was essen und dachten: „Lass uns den Mann mit der Schlecker-Tüte nehmen und nicht den mit dem Geldkoffer.“
Danach ging es Schlag auf Schlag. Bereits mit dem unbetitelten ersten Album gelang Selig der ganz große Durchbruch. In den folgenden drei Jahren, zwischen dem Debüt und dem dritten Album, „Blender“, gab es im Prinzip 24 Stunden am Tag nichts anderes als Selig, Selig, Selig. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen: Zu schneller Ruhm, zu wenig Zeit für andere Freunde und Familie. Darüber sind sie irgendwann verrückt geworden. Alkohol, Drogen und Größenwahn spielten eine weitere Rolle: „Wir lebten nur noch in diesem Rockstaralltag und sind darüber ausgebrannt“, sagt Plewka.

Der ganze Wahnsinn dieser Phase schwingt nun ebenso im Subtext der Neubearbeitungen mit wie die Reife der späteren Jahre. Selig spielen ihre Musik so, wie sie sich heute fühlen. Was dazu führt, dass einiges zunächst ungewohnt klingt. „Bruderlos“ zum Beispiel erkennt man erst, wenn Plewkas Stimme einsetzt. Und einen Song wie „Die Besten“ transponierten Selig kurzerhand von Dur in Moll, was dazu führt, dass das im Original beschwingte Lied jetzt so melancholisch klingt wie der Text schon immer war. „Anfangs waren wir unsicher, ob wir das einfach so machen können“, sagt Neander. „Dann aber dachten wir: Warum zur Hölle eigentlich nicht? Das sind schließlich unsere Songs, unsere Geschichten.“

Nichts ist in Stein gemeißelt, es gibt keine Regeln und keine Grenzen mehr: das war die Maßgabe für „Die Besten 1994 – 2014“. Aber wie ermittelt man eigentlich, was das ist: „Die Besten“? Was für Kriterien legt man bei einem derart reichen und vielseitigen Katalog an? Die Hits müssen drauf, das war klar. Aber auch ein Song wie „Wenn ich Gott wäre“, eine B-Seite aus dem ersten Album, deren Text sie immer mochten – und die sie nun komplett umarrangiert haben. Die Auswahl der meisten Stücke ergab sich indes ganz von selbst beim gemeinsamen Rumprobieren und Jammen mit dem Produzenten Swen Meyer.
Eine besondere Rolle spielte „Ohne dich“. Abend für Abend spielten Neander und Plewka Akustikversionen des vielleicht schönsten deutschsprachigen Liebeslieds aller Zeiten ein und entdeckten dabei dessen Text noch mal ganz neu. So wurde „Ohne dich“ zum roten Faden für die Gesamtproduktion und ist nicht zuletzt deshalb auch die erste Single aus „Die Besten“. „Ich hätte nie gedacht, dass das so durch die Decke geht“, erinnert sich Plewka an den größten Selig-Hit. „Damals ging ich mit meiner Freundin im Stadtpark spazieren und war irgendwie romantisch überwältigt. Es hatte geschneit und ich sagte zu ihr: ‚Guck mal hier, ich schenk dir diesen Schnee.’ Dieses Liebeskummerlied ist also eigentlich aus einem Liebesmoment entstanden“, lacht er.

Auf „Die Besten 1994 – 2014“ ist „Ohne dich“ einer von vielen Songs, die von der Neuinterpretation enorm profitieren, einfach weil Selig der Essenz ihrer Lieder vertrauen und auf überflüssiges Beiwerk verzichten. So gibt es keine Gitarrensoli, dafür aber HipHop-Beats, vereinzelte Elektro-Sounds, atmosphärisch dichte Streicher. Mal klingen Selig wie eine Bande junger Straßenmusiker, dann wieder erinnern sie an Depeche Mode. Immer aber steht die Komposition über allem. Sie wollten mit dieser Platte gleichzeitig einen Schlussstrich ziehen und wieder neu beginnen. „Selig wird sich verändern künftig“, sagt Plewka. „Ich denke, dass wir die alten Sachen ab sofort nur noch in den Versionen spielen, wie wir sie jetzt für diese Platte aufgenommen haben.“

Und so ist es also an der Zeit für ein weiteres spannendes Kapitel der Selig-Historie. Die Vorzeichen stehen gut: Heute kommen die alten Dämonen noch manchmal hoch, aber inzwischen wissen die Musiker, wie sie damit umzugehen haben. Sie nehmen sich Auszeiten voneinander und von der Band. Man will der Sache und den Menschen dienen, es geht nicht mehr darum, das Ego zu stärken. „Wir sind tatsächlich eine sehr erwachsene Band geworden“, sagt Plewka, „ich bin gespannt, wo uns das noch hinführt.“ „Die Produktion dieser Platte war wie eine Frischzellenkur“, bestätigt Neander. Und Leo Schmidthals sagt: „Man hat das Gefühl, dass die Songs erst jetzt ihre wahre Gestalt angenommen haben. Wir sind endlich zu Hause!“

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