12.05.2023
Konstantin Dupelius: A Delicate Balance
A DELICATE BALANCE ist eines dieser Stücke, zu denen mich mein Silent Retreat in der Oberlausitz am Rande des Waldes und fernab von zivilisatorischen Störgeräuschen besonders inspiriert hat. Es handelt von der wohl größten Bedrohung der Menschheit, von der Zerstörung der Natur durch den Menschen und vom menschengemachten Klimawandel. Es erzählt von bereits jetzt spürbaren Auswirkungen, fehlenden Ernten in Europa, brennenden Wäldern in Kalifornien, sterbenden Fischen im Ozean, anhaltenden Dürren in Ostafrika. Das Zitat von Harrison Ford, das die Komposition umrahmt, ist simpel und naiv, und genau das hat mich daran begeistert. Genauso naiv wie wir Menschen glaubten und glauben, die Natur kontrollieren und beherrschen zu können, dass Zivilisation und Mobilität, Fortschritt und Wohlstand, wie wir sie im globalisierten Kapitalismus verstehen, uns an das Ziel eines vollends erfüllten Leben bringen, genauso simpel und naiv antwortet uns die Natur darauf, dass das nur im Zusammenleben mit ihr geht. „Nature doesn’t need people, people need nature.“ Wir leben in ewigem Zusammenhang mit allen Lebewesen um uns herum. Egal für wie zivilisiert wir uns halten, für wie besser gestellt wir Menschen uns gegenüber allen anderen Lebewesen empfinden, die Natur weiß wie es wirklich ist, sie hat ihr inneres Knowledge, dass alles Leben in einer delicate balance zusammenlebt, und wir uns nur gemeinsam und gegenseitig im Leben unterstützen können, wenn wir uns dieser Balance bewusst sind. Gerät die Balance außer Kontrolle, zerstören wir uns gegenseitig, Natur und Mensch.
In meiner Beschäftigung mit westafrikanischen Naturreligionen begeisterte mich vor allem die Demut, die dort gegenüber der Natur ausgeübt wird. Die Haltung, dass das, was die Natur einem gibt, auch zurückgegeben werden muss, durch Dankbarkeit und ein für die Natur und die Pflege der Natur gelebtes Leben. Aufgrund dessen habe ich mich in der Recherche zum Schreiben des Textes von A DELICATE BALANCE mit afrikanischen Weisheiten rings um Natur und Mensch beschäftigt, und einige davon teils im Original, teils leicht abgewandelt in meinen Text eingebaut. Musikalisch habe ich versucht, die fragile und delikate Balance der Natur in verschiedenen, fein aufeinander bezogenen Rhythmen und sich überlagernden Pattern darzustellen. Der grundlegende Beat des Stücks ist ein 12/8 Takt, dem aber ein sich permanent wiederholendes S-O-S Morsezeichen-Motiv im 9/8 Takt im Bass zugrunde liegt. Darüber setzt sich zunächst ein Synthesizer im 7/8 Takt, später ein prägnantes Gitarren-Motiv im 4/4 Takt duolisch gegenüber den Achteln des Grundbeats. Weitere Synthesizer-Stimmen verdichten sich polymetrisch und schließlich legt sich im kathartischen Mittelteil eine elegische Melodie über alle anderen Instrumente, die als einzige Instanz konkreten Bezug zum Grundpuls nimmt. Die Komposition funktioniert nur, wenn sich alle Stimmen bewusst darüber sind, was die anderen Stimmen gerade machen, und dass sobald sie aus der Reihe tanzen, das gesamte Gefüge ins Schwanken gerät. Und so sollten auch wir Menschen wieder lernen, mehr den verschiedenen Stimmen der uns umgebenden Natur zuzuhören, um von unserer Überheblichkeit abzukommen und uns bewusst zu werden um die Delicate Balance und das Knowledge der Natur.