09.11.2018
Nie Wieder Wir
„Ich schreibe kein Tagebuch, ich schreibe Songs.“
Er ist mit der Haarbürste als Mikrofon durchs Zimmer gehüpft und hat sich aus Holz eine Gitarre gebaut. Er ist im Keller mit dem Bruder rumgesprungen und sie haben Musik auf dem Kassettenrecorder aufgenommen, als sie eigentlich schon schlafen sollten. Er hat sich in der Bravo seine Helden rausgesucht und „wenn da Lemmy mit einem einem Patronengurt stand, hat man Angst bekommen.“ Und davon wollte er mehr. Es war das wohlige Schaudern des Verbotenen und Gefährlichen. Der Freiheit und Verruchtheit. Diese Energie und dieser Exzess. Es war die Macht des Rock – und sie nahm Tim Beam gefangen.
Seit seiner Kindheit hat sich Tim dieser Macht voll und ganz verschrieben. Schon damals wusste er, dass Rockmusik seine Sprache ist. Und noch bevor er überhaupt Gitarre spielen konnte, hatte er schon Lieder im Kopf, denn er wollte nie nur kopieren und nachspielen – er wollte seine eigene Songs rocken. Klar hatte er Vorbilder – ganz früher wollte er wie AC/DC, dann wollte wie Queen sein ... doch immer auf seine Art. So war es seitdem und so ist es bis heute: „Ich schreibe kein Tagebuch, ich schreibe Songs.“
„Wenn ich was mach‘ – dann will ich es mit vollem Einsatz machen.“
Bewusst wurde ihm das alles, als er neun Jahre alt war. Geboren in München, mit der Familie erst nach Ulm, dann ins Allgäu und dann in den Nordschwarzwald umgezogen, hat er sein Leben lang Musik gemacht, ob mit Band oder solo, ob akustisch oder mit großem Besteck. Erster Auftritt mit 16 beim Klassenfest … und dieses Jahr war er bereits zum dritten Mal in China unterwegs, zum zweiten Mal mit voller Band. Schon Mitte der 90er ein erstes Album, später arbeitete er zusammen mit einem Dokumentarfilmer und schrieb die Soundtracks für Filme für den SWR. Doch wo und mit wem auch immer er arbeitet, ob als Local-Hero oder weltweit, Tims Anspruch, sich mit den Besten zu messen und mit den besten Musikern zu spielen, ist es, die den Unterschied darstellt: „Wenn ich was mach‘ – dann will ich es mit vollem Einsatz machen.“
So hat er seinen eigenen Rock ’n’ Roll entwickelt, verfeinert, erweitert und er weiß, dass er absolut nichts muss – aber das er alles will: Es geht ihm darum, sein eigenes Ding zu machen. „Rockmusik kommt extrem aus dem Bauch. Wenn dieses Feeling nicht transportiert wird, bringt das nichts.“ Das bedeutet nicht, dass Tim etwas erzwingt: „Man wird da gelassen mit der Zeit und lässt den Ideen freien Lauf. Man denkt sich, entweder es gefällt euch, oder es gefällt euch nicht.“
„… und alle waren im Arsch. Nur ich hatte die Musik.“
Nur aus dieser Einstellung konnte sein neues, wildes Werk entstehen, und nach 20 Jahren Englisch texten auch sein erster Song auf Deutsch, „Ich will schlafen“. „Plötzlich sitzt man da und merkt – der ist gut!“, lacht Tim. Nie zuvor ist er auch nur auf die Idee gekommen, es in seiner eigenen Sprache zu versuchen, doch dann spielte er dieses Lied in Bars, Angesicht zu Angesicht mit 20, 30 Zuhörern „und da merkst du, wie viel schneller die Leute darauf ansprechen. Da hat mich der Ehrgeiz gepackt.“
Es war ein neuer Horizont zum Erobern, und so entstand Stück für Stück, Song um Song ein Album, dass man deswegen vielleicht sogar einfach ein Debütalbum nennen sollte. Jeder neuer Song bestätigte ihm, dass er dabei war, etwas Besonderes zu schaffen, gerade weil die Leute nun genau zuhörten, wie und wovon er singt – und wovon er singt, ist sein Leben. Man nehme nur „(Das war) Paradise“, eine Hymne an seine Jugend, an die wilde Partyzeit und das Entdecken der Welt. Und eine Hommage an eine Freundschaft. So sind viele Lieder aus rockenden Abenden geboren – oder den schweren Morgen danach.
Die meisten Songs auf „Nie wieder wir“ jedoch handeln von Beziehungen in einer Dreiecksgeschichte. Auch hier war sie wieder: Die Anziehungskraft des Verbotenen und Gefährlichen. Zwei Beziehungen sind am Ende zu Bruch gegangen und niemand kam zusammen. „… und alle waren im Arsch. Nur ich hatte die Musik.“
„Es war hart.“
Der Opener „Todeskuss“ gibt das Thema vor – und dann entfalten sich die Geschichte und all die Gefühle so unaufhaltsam wie im echten Leben, ein rollender Zug, ohne Bremsen, mit all der Süße, all der Bitterkeit, all dem Hoffen, Wollen, Wünschen und Sehnen. „Es war hart – und es war hart diese Songs zu schreiben. Brutal hart, das auch auf Deutsch zu texten.“ Doch genau deswegen packen einen diese Lieder am Kragen, rütteln einen durch und lassen einen nicht mehr los. Dabei klingt alles immer erstaunlich poppig und leicht, mit Melodien, die sich im Ohr und im Hirn festsetzen. Man fühlt und schreit, man singt und rockt – und ein wenig erlebt man auch Tim Katharsis mit: „Jetzt kann ich damit abschließen, weil ich die CD in der Hand halte.“
„Nie wieder wir“ ist glasklarer, virtuoser Rock, der die Ehrlichkeit des Blues mit jedem Riff atmet – treibend, nach vorne, wie ein Motor dessen Tank nie leer wird, in einer Sprache die jeder spricht, aber mit Worten, die unter die Haut gehen, ob man will oder nicht. In Tim haben sich ein Hardrocker und Singer/Songwriter zusammengefunden, und es ist unglaublich, dass er sein einzigartiges Talent zum Texten in seiner Muttersprache erst jetzt entdeckte.
Denn Tim Beam klingt nach dem blutjungen, wilden Westernhagen, er hat die sprachliche Wucht eines hungrigen Rappers und die Lebenspoesie eines Ambros. Dazu kommt sein spezielles Feuer, Tims Leidenschaft, sein Wille, den Blick auf sich zu richten und seine Persönlichkeit und Seele rückhaltlos in Musik zu gießen. Es ist immer seine Sprache, es sind seine Melodien, es ist seine Hingabe. Nichts ist konstruiert. Alles ist mit Verve gespielt. Diese Songs zwischen ewiger Sehnsucht nach dem Kick und der Suche nach Intensität in jeder Sekunde, diese Lieder über die kleinen und die großen Sünden und dem Ringen mit ihnen am Tag danach, sie alle sind Hymnen über das Leben. Selbst – oder gerade weil es einem wieder von Hinten in die Beine gegrätscht ist.
Und vielleicht sollte man sogar dankbar dafür sein.
Denn nur dann kann man wieder aufstehen und solche Musik machen.