GINA ÉTÉ
Wer spricht hier über wen? Was ist die eigene Rolle – und was auch nicht? Es ist dieser Zwiespalt, der GINA ÉTÉ als Mensch ausmacht und den sie in ihrer Musik zu einem spannungsreichen Ganzen zu verknüpfen weiß. “Der Begriff Politik ist negativ behaftet, als handelt es sich dabei nur um Männer in Anzügen, dabei ist unser kompletter Alltag und alles, was wir tun, politisch”, sagt sie. Selbstverständlich für die Musikerin, sich als Aktivistin für die größte Herausforderung der Zukunft einzusetzen: den Klimawandel. Hashtags wie #evakuierenjetzt, #climatestrike und #feminism stehen in ihrer Insta-Bio gleichwertig neben “songwriter”, “arranger” und “viola”. Im Video ihrer Single “Windmill” etwa drängen sich Stoffpinguine auf einer von Plastik zugemüllten Eisscholle.
Auch im Debütalbum “Erased by Thought” stecken zwölf Denkanstöße – in zwölf eigenen musikalischen Welten. Gemeinsam mit ihren drei Musikern Jeremie Revel, Phillip Klawitter und Noé Franklé hat GINA ÉTÉ die Stücke in San Francisco bei John Vanderslice (Death Cab for Cutie, St. Vincent, Dear Reader) voll analog aufgenommen. In einem Moment denkt man, das ist genau die richtige Musik, um in einem Wollpulli in einer Altbauküche mit einem Glas Weißwein in der Hand an einem Novembertag aus dem Fenster zu schauen, im nächsten fühlt man sich, als befinde man sich unter eine Gruppe subversiver Studenten, die sich in einer verlassenen Industriehalle ein Quartier als Denkfabrik eingerichtet haben. Aber über alledem verliert GINA ÉTÉ nie den Humor, was die Wärme ihrer Live-Auftritte widerspiegelt. “Manche Leute, die mich persönlich kennen, sind erstaunt über einige Songs und fragen mich: Huch, du wirkst auf uns immer so fröhlich! Haben wir was verpasst? Ich muss sie dann beruhigen und sagen, dass alles okay ist, sondern dass das einfach die Themen sind, die mich beschäftigen!”, sagt sie und lacht.
“Coral reefs covered in plastic/ German woods dissolve in brown coal/ Megacities make you lonely/ Should one person make you whole?”, singt sie in “All Or Nothing”. Da ist sie wieder, GINA ÉTÉ’s kunstvolle Verknüpfung von Persönlichem und Politischem zu Hybrid Pop. “Each country and its army / Say we defend, say we must!”, singt sie weiter. Fragmentarisch, tastend, dringlich. Das ist Musik für diese Zeit.
- Ariana Zustra, Journalistin und Musikerin